Sonntag, 29. Mai 2011

Ein Langnauerli von Gottfried Herrmann

Die Schwyzer Handharmonika ist eine Weiterentwicklung des Langnauerli. Die Langnauer "Handharpfe" ist vermutlich die erste, ab ca. 1836 in der Schweiz hergestellte Handharmonika. Eine ausführliche Beschreibung der Geschichte des Langnauerli und der Familie Herrmann findet man in Ernst Roth: Schwyzerörgeli. Altdorf 2006.

Für das Verständnis der Konstruktion des Schwyzerörgeli erscheint es sinnvoll, die historische Entwicklung vom einfachen zum zunehmend komplexeren Instrument nachzuvollziehen. Aus diesem Grund wird in diesem Beitrag der Aufbau des Langnauerli beschrieben. In chronologisch aufsteigender Folge werden die Weiterentwicklungen in zukünftigen Beiträgen dargestellt.

Beim vorliegenden Langnauerli handelt es sich um ein Instrument in A-Dur, das von Gottfried Herrmann um 1900 (vermutlich eher früher) gebaut wurde. Die Melodieseite ist diatonisch, die Tastatur besteht aus neun Knöpfen. die Bassseite ist ebenfalls diatonisch und  besteht aus einer Taste für den Grundbass (Tonika A auf Druck, Dominante E auf Zug) und einer Taste für den den A-Dur-Begleitakkord auf Druck bzw den E-Dur-Begleitakkord auf Zug. Zudem besitzt das Instrument auf der Rückseite eine Taste für den Tenor-Bass (Schnarchlibass) in A bzw. E. Der Tenorbass liegt eine Oktave tiefer als der Grundbass und ist eine reizvolle Besonderheit, die meines Wissens bei den Schweizer Handharmonikas nur bei den Langnauerli zur Verwendung kommt. Das Instrument verfügt bereits über einen im Inneren des Instruments angebrachten Verschlussbügel, wie er für die Schwyzer-Handharmonika typisch ist.

Für Musik auf dem Langnauerli verweise ich auf den virtuosen Handharmonika-Spieler Werner Aeschbacher und seine Homepage http://www.aeschbacher.li.


Das Langnauerli von vorne. Links Melodieseite mit neun Melodieknöpfen, rechts Bassseite mit Grundbass unten und Begleitakkord oben. Der Balgrahmen wurde ummontiert um das Schild mit der Herstellerbezeichnung sichtbar zu machen. Ursprünglich hat Gottfried Herrmann dieses Schild auf der Rückseite des Instruments angebracht. Das Balgrahmenbändeli ist - leider - nicht original.

Papier-Schild:
Gottfried Herrman, Harmonikafabrikant
Ct. Bern * LANGNAU * Schweiz

Ein Vorbesitzer hat die Buchstaben teilweise mit Kugelschreiber nachgezeichnet. Ein unübliche und nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlene Methode der Restaurierung.

Das Langnauerli von hinten. Links Bassseite mit Taste für Tenorbass und  Lufttaste. Rechts Melodieseite mit Däumling.

Melodieseite des Langnauerli. Typisch für die Herrmann-Handharpfen sind die rosettenförmigen Bohrungen auf den vorderen und hinteren Diskantverdecken sowie die Ornamente in den Ecken in Silberprägung.

Bassseite des Langnauerli. Vorne (links) sind unten die Taste für den Grundbass und oben die Taste für den Dur-Begleitakkord erkennbar. Hinten (rechts) sieht man die Taste für den Tenorbass und die Lufttaste über den Lufteinlasslöchern.

Detail Balgrahmen, Ecke aus geprägtem Metall.

Anordnung der Stimmen auf der Melodieseite. Das Instrument ist zweichörig, d.h. bei jedem Ton ertönen zwei Stimmzungen, eine aus der oberen und die gegenüberliegende aus der unteren Reihe. Die nicht zugestemmten Stimmen sind auf einem einfachen Brett gelagert. Um mehr Stimmen Platz zu schaffen wird später Robert Iten den Resonanzkasten erfinden der für das Schwyzerörgeli charakteristisch ist. Gottfried Herrmann verwendet bei diesem Instrument bereits eingekaufte Stimmen der Marke Sonntag (Davidstern-Prägung) auf Zink-Platten und nicht mehr handgefertigte Stimmen aus eigener Produktion wie dies ursprünglich bei den Herrmann-Langnauerli der Fall war. 

Detail Luftklappen für den 1. Chor auf der Melodieseite vorne nach Entfernung der Abdeckung.

Detail Luftklappen für den 2. Chor auf der Melodieseite hinten.  Die Konstruktion erfolgt hier aus Metallblech und nicht aus Holz wie bei den Schwyzer Handharmonikas.

Detail Luftklappen auf der Melodieseite hinten. Der kurze Hebel der links aus der Rückseite des Griffbretts ragt, verbindet die Metallklappen mit der Taste auf dem Griffbrett. Die Rückstellfedern gewährleisten den Verschluss der Luftklappen  hinten und vorne sowie das Rückstellen der Melodietasten.

Anordnung der Stimmen auf der Bassseite: Grundbass einchörig oben rechts, Dur-Begleitakkord 3-tönig (Grundton, Terz, Quinte) auf einer Zinkplatte oben links. Tenorbass einchörig Mitte rechts. Luftklappe unten mit Rückstellfeder.

Detail zur  Mechanik der Lufttaste.

Detail zur "Mechanik" der Basstastatur. Es existiert keine Bassmechanik im engeren Sinne.  Der Luftstrom wird durch drei getrennte Kammern im Bassteil gesteuert. Die Klappen bestehen aus einem gegen die Lufteinstromlöcher im Gehäuse mit Leder beschichtete Holzbrettchen, das durch einen Schlitz in einen beweglichen und einen unbeweglichen Teil unterteilt ist. Der unbewegliche Teil ist auf der Innenseite des Gehäuses verleimt. Rückstellfedern gewährleisten den Verschluss der Klappen.

Bassseite nach Entfernung des Tastaturteils. Das Loch oben links führt Luft zum Dur-Begleitakkord, das Loch oben rechts auf Höhe der Lufttaste führt Luft zum Tenorbass, das Loch unten führt Luft zum Grundbass.

Alle Abbildungen: LS

Als nächstes Instrument in dieser Serie wird eine zweireihige "Riggisberger" von Gottfried Bärtschi beschrieben werden.

Montag, 23. Mai 2011

100 Jahre Rees Gwerder


Am 30. Juli könnte Rees Gwerder (*30.7.1911 bis + 4.1.1998) seinen hundertsten Geburtstag feiern. Zu diesem Jubiläum veranstaltet der Kulturverein Arth einen Gedenkabend. Details findet man hier.

Sonntag, 15. Mai 2011

Schilder der Fa. Eichhorn, Schwyz

Wie alt ist mein Instrument? Für den Liebhaber historischer Instrumente ist diese Frage bestimmt von Bedeutung. Er erhält damit neben der Altersangabe auch Informationen über die Erbauer und die Bauperiode und damit im Allgemeinen erste Hinweise auf die Qualität und den Seltenheitswert eines Instrumentes. Am einfachsten wäre es, wenn das Instrument datiert wäre, was jedoch von verschiedenen Herstellern nicht gemacht wurde.

Wie ist es trotzdem möglich, die Entstehungszeit eines Instrumentes zu schätzen? Zahlreiche Merkmale können hier Hinweise liefern. Unter anderen sind dies:
  • Die Bauart des Instrumentes: Gewisse Bauvarianten oder Modelle sind typisch für bestimmte Perioden
  • Verwendete Materialien wie Art der Hölzer, Nägel, Stimmen, Zelluloid
  • Bohrung (Anordnung der Löcher) der Verdecke auf Bass- und Diskantseite
  • Intarsien und Beschriftungen (Täfelchen, Stempel)
  • Signaturen im Inneren des Instruments
Die folgenden Abbildungen zeigen in chronologischer Folge die Schilder, die von der Fa. Eichhorn verwendet wurden. Aber Achtung, die Schilder liefern nur einen Hinweis. Es kommt vor, dass Schilder gefälscht oder ummontiert werden, um dem Käufer ein Instrument wertvoller erscheinen zu lassen.


Metallplatte, weisser Grund, Schrift graviert und rot eingefärbt
AL. EICHHORN, Handharmonikafabrikant, SCHWYZ
verwendet von 1886 bis 1900

Messingplatte, Schrift graviert und rot eingefärbt
AL. EICHHORN, Handharmonikafabrikant, SCHWYZ
verwendet von 1900 bis 1917

Messingplatte geätzt, Schrift und Rahmen erhaben, schwarzer Grund
A. Eichhorn u. Söhne, Handharmonika-Fabrik, SCHWYZ
verwendet von 1917 bis ca. 1925


Messingplatte, Schrift geprägt, Grund schwarz oder nicht gefärbt
Harmonikafabrik, Eichhorn, Schwyz (Schweiz)
verwendet von ca. 1925 bis 1955

Metallplatte, Schrift gelb, Grund schwarz
Harmonikafabrik, Eichhorn, Schwyz
verwendet von 1955 bis 1990

Metallplatte, Schrift gelb, Grund schwarz
Harmonikafabrik, Inh. W. Greuter, Schwyz
seit 1990

Messingplatte, Schrift graviert, Grund schwarz
Handharmonikafabrik, Eichhorn, Schwyz
seit 1990

Messingplatte, Schrift graviert, Grund schwarz
A. Eichhorn u. Söhne, Handharmonika-Fabrik, SCHWYZ
Ersetzt bei Bedarf das Schild von 1917-1925 (seit 2010)

(Abbildungen LS)

Nachtrag zu Schilder der Fa. Eichhorn, Schwyz

Neben den Schildern, die im vorigen Beitrag beschrieben wurden und die typischerweise bei den Stöpselbass- sowie den 14-, 16-, 18- und 24-Bass-Modellen in der Mitte der Frontseite des Bassverdecks, Schrift von oben nach unten (vom Balg her lesbar), montiert wurden, wurde ab 1886 das Instrument zusätzlich mit einem runden Emblem auf dem vorderen Verdeck der Melodieseite (Diskantseite) versehen.

Brandstempel, verwendet von 1886 bis 1930
Messingplatte, verwendet ab 1930 bis 1990 (?)

Vom aktuellen Emblem liegt zur Zeit leider keine Abbildung vor.

(Abbildungen: LS)

Freitag, 6. Mai 2011

Stimmungsschwankungen


Die Abbildung zeigt einen Satz von Referenz-a'' der Firma Richard Meinel, Stimmplattenfabrik in Zwota (Sachsen, Deutschland, Stimmplatten-Markierung "M"). Zur Festlegung einer einheitlichen Stimmhöhe lieferten die Stimmplatten-Hersteller Sätze von Pfeifen mit den gebräuchlichen, regional jedoch etwas unterschiedlichen a''-Kammertönen. (Foto LS)

Dass das Thema durchaus von praktischer Bedeutung ist, zeigt folgende biografische Episode eines Örgelistimmers aus dem Berner Oberland: In den 1950er-Jahren wurde H. einmal von einem erfahrenen Musikanten angefragt, ob er ihn bei einem Auftritt begleiten könne. Schon nach kurzem Zusammenspiel der beiden chromatischen Handorgeln zeigte sich jedoch, dass die Instrumente überhaupt nicht miteinander übereinstimmten. Der erfahrene Musikant riet H., sein Instrument doch neu stimmen zu lassen. H. reiste bald mit dem Zug vom Berner Oberland nach Zürich, um das Instrument bei einem Instrumentenhändler nachstimmen zu lassen. Mehrere Wochen später brachte die Bahnpost das Instrument neu gestimmt zurück. In freudiger Erwartung, dass die beiden Instrumente nun besser harmonieren würden, wurde die Handorgel sofort ausprobiert. Zur grossen Enttäuschung von H. konnte jedoch keine Verbesserung festgestellt werden und das Zusammenspiel tönte grauenhaft wie zuvor. Etwas vorwurfsvoll wendete der erfahrene Musikant ein, er habe doch geraten, das Instrument NEU stimmen zu lassen. Jetzt erst wurde klar, dass H.'s Instrument eine sogenannte "alte" Stimmung aufwies, mit abweichendem Kammerton und anderer Temperierung der einzelnen Tonhöhen. Die Firma in Zürich hatte bloss diese "alte" Stimmung aufgefrischt. Leider waren die Kosten für das Nachstimmen, die Reise- und den Transport so hoch, dass die gesamten Ersparnisse von H. dafür aufgewendet werden mussten und somit kein Geld für das erneute Stimmen mehr vorhanden war. In der Not wandte sich H. an einen Bauern in seiner Umgebung, der sich gelegentlich als Reparateur von Handorgeln betätigte und der ihm ein paar Kenntnisse zur Bearbeitung der Stimmen vermittelte. So nahm H. das Umstimmen seines Instrumentes in die eigenen Hände und sammelte seine ersten Erfahrungen. Jahre später hielt er sich für eine gewisse Zeit in der Nähe von Schwyz auf und liess sich, gegen Entgelt, von Martin Nauer sachkundig in die Materie einweisen. Noch heute arbeitet er als gefragter Örgelistimmer und Reparateur.

Zur historischen Entwicklung des Kammertones findet sich unter http://de.wikipedia.org/wiki/Kammerton ein ausführlicher Beitrag. Hier ein paar Auszüge:

Bis in das 19. Jahrhundert hinein gab es keine einheitliche Stimmhöhe, sondern es wurde abhängig von Region, Ort und Art der Musik unterschiedlich eingestimmt. In Deutschland lag der Kammerton im 17. und 18. Jahrhundert häufig bei etwa 415 Schwingungen pro Sekunde, im Italien des 17. Jahrhunderts bei 466 Schwingungen pro Sekunde und im barocken Frankreich bei 392 Schwingungen pro Sekunde. 
Durch ein zunehmend interregionales und internationales Musikleben wuchs das Bedürfnis nach einer einheitlichen Stimmtonhöhe. In Paris legte man im Jahre 1788 den Kammerton auf 409 Schwingungen pro Sekunde fest, die sogenannte Pariser Stimmung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts stieg der Kammerton weiter an und wurde 1858 durch die französische Akademie auf 437,5 Schwingungen pro Sekunde neu festgelegt. 
Einem weiteren Anstieg versuchte 1885 eine internationale Stimmtonkonferenz in Wien Einhalt zu gebieten, bei der 435 Schwingungen pro Sekunde als Standard festgelegt wurde.Die bis heute letzte internationale Stimmtonkonferenz wurde 1939 von der International Federation of the National Standardizing Associations  in London durchgeführt. Sie definierte die Kammerton-Frequenz dann als 440 Hz bei 20 °C für den Ton a1 (Standard ISO 16). Diese Regelung wurde am 30. Juni 1971 durch den Europarat bestätigt.


Mittwoch, 4. Mai 2011

Herausforderungen des diatonischen Instrumentes


Skizze zur Anordnung der Töne auf der Melodieseite einer 4-reihigen diatonischen Eichhorn-Orgel. Urheber unbekannt. (aus dem Fundus der Fa. Eichhorn Schwyz, Inh. W. Greuter, Foto LS)